Crossposting: https://lists.openstreetmap.org/pipermail/talk-de/2018-October/115468.html
TL;DR Bitte werdet Mitglied in der OSM Foundation, bevor die OSM Foundation von einer Beschützungs- und Rechtehaltungsorganisation für OSM zu einer Interessenvertretung amerikanischer Firmen und HOT wird. Am Ende der Mail steht, wie man Mitglied wird. Es kostet 15 Britische Pfund und ist kein Abo.
Liebe Mitmapper/innen und OSM-Interessierte,
ich bin seit sieben Jahren bei OSM aktiv und seit zwei Jahren OSMF-Mitglied, weil ich mitbestimmen möchte, was mit dem passiert, in das ich viel Zeit gesteckt habe. Da sich die gelebte Praxis in der OSMF jedoch immer mehr von meinen Vorstellungen als Craftmapper entfernt, möchte ich euch bitten, ebenfalls Mitglied in der Foundation zu werden und dafür zu sorgen, dass die Interessen der Craftmapper ausreichend stark vertreten sind.
Die OSMF gerät immer mehr in den Einfluss kommerzieller, US-amerikanischer Interessen. Von den sieben Vorständen stehen vier dem US-amerikanischen Big Business nahe und ein Fünfter, mein Vorgesetzter, verdient auch sein Geld mit OSM [1]. Zwar kommen knapp 40 Prozent der Mitglieder aus den USA und Kanada, 48 Prozent aus Europa, wovon aber mancher amerikanische/kommerzielle Interessen vertritt bzw. für sie eintritt. Dieses Verhältnis entspricht aber nicht dem Verhältnis der Beiträge zu OSM. [2]
Die Interessen dieser Gruppen an Amerikanern weichen in vielen grundsätzlichen Fragen deutlich von den Interessen der freiwilligen (v.a. in Europa ansässigen) Craftmapper ab, die OSM aufgebaut und groß gemacht haben, ab. Die Amerikaner, die sich intensiv in der OSMF engagieren, sind auf Seiten US-amerikanischer Firmen und HOT US Inc.
Dank der Mitgliedsbeiträge der Firmenmitgliedschaften brauchen wir zwar keine jährlichen Spendenaufrufe mehr, machen uns aber abhängig. Aufgrund dieser Nähe zu Firmen mangelt es der OSMF und ihrem Vorstand an der nötigen Distanz im Umgang mit diesen Firmen. Daher sollten wenigstens die Mitglieder als Korrektiv agieren können und schlechte Beschlüsse während der Diskussion im Vorfeld deutlich und mehrstimmig kritisieren und, falls es soweit kommt, bei einem Mitgliederentscheid ablehnen können.
Die Dominanz bringt u.a. folgende Probleme mit sich:
(1) Ich mache mit, weil ich die Sache gut finde und etwas zurückgeben möchte. Den Unternehmen geht es um ihr Geschäft – das liegt ja in ihrer Natur. Sie sehen in OSM eine Datenbank, in die man seine Daten kippen kann, weniger eine Community, die eine Datenbank pflegt. Bots bzw. automatische Datenerfassung im Allgemeinen ist für diese Firmen das heiße Ding. Leider sind viele Firmen zu Beginn mit Qualitätsmängeln aufgefallen. Qualitativ gutes Mapping wird erst geleistet, wenn Druck gemacht wird und Sperren drohen.
Der Vorstand hat vor gut einem Jahr die Data Working Group beauftragt, eine Richtlinie dafür auszuarbeiten. Die DWG hat dazu im Herbst letzten Jahres eine Community-Umfrage durchgeführt und basierend auf den Ergebnissen einen Richtlinienentwurf verfasst. Dieser wurde anschließend auf der Mailingliste OSMF-Talk von einem Chor an HOT-Aktivisten und Vertretern amerikanischer Geschäftsinteressen, kaputtkritisiert. HOT wäre von der Richtlinie nämlich auch betroffen. Das Archiv der HOT-Mailingliste ist reich an Beschwerden über qualitative Mängel von HOT-Mappingaktionen. [3]
Anstatt der DWG den Rücken zu stärken, hat der Vorstand nichts getan. Ein neuen Entwurf der DWG liegt mittlerweile vor. Es ist nur noch Empfehlung. Keine seiner Regel ist verbindlich und stellt Interessen der Firmen über die Interessen der freiwilligen Craftmapper. Ob selbst dieser weichgespülte Entwurf vom Vorstand beschlossen wird, ist fraglich!
Die Richtlinienentwürfe (einschließlich der deutschen Übersetzungen) und die Umfrage sind unter https://wiki.openstreetmap.org/wiki/DE:Directed_Editing_Policy verlinkt.
(2) Die zu große Nähe zu Firmen führt dazu, dass Firmen Rechte eingeräumt werdern, die sie nicht haben sollten. Wenn eine Firma gewisse Dinge über ihre Mappingaktivität geheim halten möchte, wird ihr das gestattet. Apple durfte auf der letzten State of the Map in Mailand einen Vortrag halten, der nicht aufgezeichnet wurde.
Wer Firmen, die OSM nutzen oder gar selber mappen (lassen), kritisiert, wird für die Kritik kritisiert, selbst wenn ihre Nutzung oder ihre Beiträge für OSM kein Gewinn sind, z.B. eine Vearmung der Software-Vielfalt, Aufmerksamkeits-Trittbrettfahrer, kontroverse Datenimporte. (Beispiel siehe [4])
(3) Es ist im Sinne der Firmen, mit einer OSMF zu interagieren, die “professionell” ist. Was der Chef sagt, wird gemacht. OSM ist zum Glück noch weit davon entfernt. Wenn aber oft genug genügend viele Leute ohne großen Widerspruch “OSM sollte (einen) Führer haben” rufen, glauben das irgendwann auch alle – v.a. die Außenstehenden.
Eine professionelle OSMF macht zwar Mappingvorschriften, was mancher von euch begrüßen würde, aber sie nimmt der Basis die Freiheit, Nein zu sagen. Wenn Vorschriften gemacht werden, sollte das von der Basis ausgehen (also ähnlich wie Frederiks Vorschlag neulich bzgl. des Verklebens von Flächen) [5].
Der Einsatz hauptamtlicher (bezahlter) Arbeitskräfte anstelle Freiwilliger für die Aufgaben in der OSMF muss nicht per se schlecht sein. Mit bezahlten Kräften kann man mehr erreichen, beispielsweise eine aktivere Öffentlichkeitsarbeit. Das kann aber auch nach hinten losgehen und dazu führen, dass Craftmapping verschwiegen bzw. als veraltet dargestellt wird und die Öffentlichkeitsarbeit bloß noch humanitäres Mapping erwähnt, weil sich das besser verkauft.
Das Einstellen weiterer Arbeitskräfte ist absehbar. Der Vorstand, der derzeit durch Untätigkeit auffällt, wird das von ihm entworfene Fördermittelprogramm nicht in seiner Freizeit verwalten können und dafür jemanden bezahlen.
(4) Die kommerziell motivierten Amerikaner und Anhänger des HOT-Projekts streben danach, im OpenStreetMap-Projekt einen Code of Conduct für die digitale Kommunikation im Projekt einzuführen. Ich denke, dass Verhaltensregeln im Grunde kein Teufelszeug sind. Die Mailinglisten-, Wiki- und Forenmoderatoren sowie die DWG wenden jetzt schon Regeln an, nur sind diese nicht schriftlich fixiert. [6]
Ein Code of Conduct wird von seinen Befürwortern dogmatisch verteidigt. Es sei heutzutage üblich, einen zu haben. Ein amerikanischer Code-of-Conduct-Befürworter schrieb letztes Jahr auf der Mailingliste OSMF-Talk, dass er Frauen abrate, in der Stadt, in der er wohne, den OSM-Stammtisch zu besuchen. Dieser Stammtisch habe keinen Code of Conduct habe und sie seien dort deshalb nicht. [7] Ich habe die Diskussion über einen Code of Conduct, die im November/Dezember 2018 stattfand, unter https://blog.openstreetmap.de/blog/2017/12/die-code-of-conduct-diskussion/ zusammengefasst. Momentan ruht die Sache, denn es mangelt noch an einer deutlichen Mehrheit im Vorstand.
Viele Projekte verwenden auf vorgefertigte Code of Conducts. Manche davon schreiben vor, dass Kritik nur “professionell” (lies: entsprechend der Gepflogenheiten des US-amerikanischen Geschäftslebens) geäußert werden darf. Ist das nicht kulturellem Imperialismus, wenn es über Sprachgrenzen hinweg angewendet wird, und widerspricht es dann nicht dem Ansatz “Local OSM community first”? Schließt es nicht Leute aus, deren Englisch nicht perfekt ist?
Ein Code of Conduct kommt jedoch auch mit einer politischen Botschaft. Reichlich Code-of-Conduct-Vorkämpfer sind der Meinung, dass sich ein Code of Conduct auch auf das öffentlich sichtbare Leben außerhalb von OSM erstrecke (z.B. ein Benutzerkonto in einem sozialen Netzwerk), selbst wenn es nicht explizit im Code of Conduct steht. Dagegen ist ein offizielles Statement zu Uploadfiltern vernachlässigbar.
Ich möchte euch alle daher ausdrücklich bitten, Mitglied in der OSMF zu werden. Am 15. Dezember findet die nächste Mitgliederversammlung der OSMF statt. Neben den üblichen Vorstandswahlen (zwei von sieben Sitzen) wird es möglicherweise auch einen kontroversen Antrag aus dem Kreis der Mitglieder geben, der das Mapping unmittelbar betrifft.
Wahlberechtigt ist, wer bis zum 15. November 2018 Mitglied geworden ist. Auf https://join.osmfoundation.org/ könnt ihr die Mitgliedschaft abschließen. Sie kostet 15 britische Pfund (ca. 17 Euro) pro Jahr. Es handelt sich dabei nicht um ein Abonnement. Sie läuft nur ein Jahr und muss dann durch erneuert werden. Daran werdet ihr per Mail erinnert.
Ihr habt die Wahl normales oder assoziiertes Mitglied zu sein. Normale Mitglieder sind vollwertige Mitglieder entsprechend des britischen Rechts und dürfen auch über Satzungsänderungen abstimmen. Das britische Recht erlaubt es jedoch jedem, von der OSMF eine Liste aller normalen Mitglieder samt deren Anschrift zu verlangen. Wer das nicht möchte, kann assoziiertes Mitglied werden.
Der Mitgliedsbeitrag kann per Paypal und SEPA-Banküberweisung bezahlt
werden. Falls ihr letzteres tut, müsst ihr das Formular auf https://join.osmfoundation.org/alternative-payment-options/ ausfüllen. Denn die Barclays Bank, bei der die OSMF ist, teilt dem Finanzvorstand nur die ersten 16 Zeichen des Verwendungszwecks mit. Für die automatische Verarbeitung der Mitgliedsbeitragszahlungen ist es erforderlich, dass der Verwendungszweck mit “Membership ” lautet.
Viele Grüße
Michael Reichert
[1] Zwar bin ich in der Geofabrik angestellt, aber OSM ist auch immer noch mein Hobby und war es auch schon lange vor der Aufnahme meiner Erwerbstätigkeit dort.
[2] http://osmstats.neis-one.org/?item=countries
[3] https://lists.openstreetmap.org/pipermail/hot/, zufällig herausgegriffen: https://lists.openstreetmap.org/pipermail/hot/2017-November/013942.html https://lists.openstreetmap.org/pipermail/hot/2018-July/014437.html https://forum.openstreetmap.org/viewtopic.php?id=64172
[4] https://www.reddit.com/r/openstreetmap/comments/9qbhi7/who_to_follow_on_twitter/e8948zw/
[5] https://lists.openstreetmap.org/pipermail/talk-de/2018-October/115428.html https://forum.openstreetmap.org/viewtopic.php?pid=721554#p721554
[6] heftige Beispiele gibt es bei mir auf Anfrage
[7] Es steht nicht in der Mail, aber Zürich war gemeint. Die originale Mail ist im öffentlichen Archiv unter https://lists.openstreetmap.org/pipermail/osmf-talk/2017-December/004596.html zu finden.