Vorsicht bei Übernahme von Informationen aus der Preußischen Landesaufnahme

tl;dr
Bitte übernehmt keine Informationen aus den Messtischblättern der preußischen Landesaufnahme, wenn ihr die Informationen nicht durch aktuelle Kartenwerke oder Wissen vor Ort verifiziert habt. Viele der Informationen wurden vor über 100 Jahren von ortsfremden Offizieren zusammengetragen und können heutig aus mannigfaltigen Gründen keine Gültigkeit mehr besitzen.

Vorabinformation
Eine Bitte um Vorsicht ist kein Verbot.

Langfassung
Zumindest in Nordrhein-Westfalen, vornehmlich im Ruhrgebiet, habe ich nun häufiger bemerkt, dass irgendwelche Toponyme (geografischer Name) auftauchen, die entweder unbekannt oder deplatziert sind.

Eine kurze Recherche ergibt, dass diese Informationen den Messtischblättern (= MTB) der preußischen Landesvermessung entsprechen. Die MTB werden unter einer Zero-Lizenz von der GeoBasis.NRW via WMS angeboten.

Führt man sich die Historie der preußischen Landesvermessung vor Augen, ist diese durch mehrere Evolutionsschritte gelaufen, bei denen die Triangulation des Vermessungsnetzes zwar immer besser wurde (und somit die Genauigkeit von Lage und Höhe verbessert hat), jedoch fehlte oft lokales Wissen. Das Kartenwerk war ja nie als genaues Grundriss-Kataster für die Erhebung der Steuer angelegt, sondern als Topographische Karte im Maßstab 1:25.000, aus der dann die preußische Generalstabskarte und andere Karten in kleinen Maßstab abgeleitet werden sollten. Aufgrund der zunehmenden militärischen Wichtigkeit, sind die Karten auch verhältnismäßig schnell entstanden.

Durch eingeschränkte Kenntnis der Situation vor Ort, Zeitdruck, Geheimhaltung und Generalisierung wurde nicht immer Wert auf die richtige Lage von geographischen Namen gelegt. Wenn also z. B. irgendwo „Hülsebruch“ auf einer Karte an einem Siedlungsgebiet steht, muss dieses Gebiet noch lange nicht so heißen.

Zudem muss man bedenken, dass die Sammlung der Messtischblätter 1916 abgeschlossen war. Grob gesagt ging’s mit der Neuvermessung in einer anderen Projektion weiter (andere Geschichte). Danach ist der Wandel der Landschaft aber trotzdem fortgeschritten: Durch den Bau von Verkehrsstraßen wurden Landschaften zerschnitten und neue Gewerbeflächen und Siedlungen mit neuen Namen sind entstanden. Durch die Eingemeindungswellen wurden Straßen und Gebiete umbenannt, etc. Alleine durch den Kahlschlag nach dem Zweiten Weltkrieg und den Planungswellen danach, gingen viele alte Toponyme unter.

Auch ist die Rechtschreibung fortgeschritten. Durch fehlende Ortskenntnis, Wandel der Rechtschreibung und Aussprache, änderten sich Toponyme z.B. von „Hulsbroich“ zu „Hülsebruch“ zu „Hülsenbruch“ oder „Am grossen Broich“ zu „Großenbruch“. In OSM bilden wir die Gegenwart ab, nicht die Information eines ortsfremden Offiziers von einer über 100 Jahre alten Karte (historische Hinweise sind natürlich als Attribut möglich).

Meine eindringliche Bitte
Bitte übernehmt keine Informationen aus den Messtischblättern der preußischen Landesaufnahme, wenn ihr die Informationen nicht durch aktuelle Kartenwerke oder Wissen vor Ort verifiziert habt.

Hinweise können Straßennamen oder die Namen von Schulen geben. Auch der Blick in historische Stadtpläne oder die Amtsblätter sowie das Ratsinformationssystem kann helfen, Umbenennungen oder tatsächliche Lage und Benennung zu identifizieren.

Nachtrag
Ich schätze das Werk, welches vor über 100 Jahren geschaffen wurde. Ich finde es jedoch für OSM weiterhin wichtig, dass nicht blind irgendwelche Karten abdigitalisiert werden.

Die Literatur sagt zudem, dass die schwankende Qualität der Preußischen Landesaufnahme ein großes Problem ist. In einigen Regionen gab es möglicherweise bessere Ursprungskarten oder die Informationslage und deren Zugang war klarer. Vielleicht gab’s aber auch Topographen mit Ortskenntnis oder entsprechend ausgebildete Ingenieure. Dazu kommt noch, dass Bayern, Württemberg und Sachsen sich an der Landesaufnahme nicht beteiligen wollten, weil sie eigene und bessere Karten hatten. Die Karten wurden dann nachher entsprechend angeglichen.

Hinweis
Dieser Artikel ist ursprünglich auf Discourse veröffentlicht worden. Da einige Teilnehmende aus aus dem alten OSM-Forum angekündigt haben, nicht ins neue Board wechseln zu wollen halt ich es - nicht zuletzt aus Archivgründen - sinnvoll, den Artikel auch hier zu veröffentlichen, sodass sich die Ausscheidenden an der Diskussion beteiligen zu können: Vorsicht bei Übernahme von Infos aus der Preußischen Landesaufnahme / users: Germany / OpenStreetMap Forum

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Ich verwende dies eher umgekehrt, also lokales Wissen auf alten Karten noch einmal gegenchecken. Dass sich Namen (bzw. deren Schreibweise) mit der Zeit dabei ändern können ist nichts ungewöhnliches. Muss man immer im Hinterkopf haben.

Stumpfsinniges Übernehmen ohne nachzudenken bringt u.a. solche Ergebnisse:
Ausschnitt OSM-Karte:

mitten im Wasser die Schwedenschanze als place=locality?

Preußisches Messtischblatt:
image
(ich hoffe doch stark, dass keine lizenztechnisch bedenklich jüngere topografische Karte verwendet wurde)

Die Lagegenauigkeit des Messtischblattes ist schon hervorragend. Aber dass die Bezeichnung eines geografischen Objektes nicht exakt dort stehen kann, wo sich das Objekt auf der Karte befindet und die Schwedenschanze eher kein place=locality ist, sollte mit ein bisschen Nachdenken jedem bewusst sein. Zumal das eigentliche Objekt, die Schanze, gut auf dem Messtischblatt erkennbar ist und auch heute noch auf dem Luftbild sichtbar ist. Auch die Schanze auf der gegenüberliegenden Fährinsel ist gut erkennbar.

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Erosion durch Wasserbewegung und Sturmfluten? :grinning:

Das will ich ja auch gar nicht abstreiten. Ich will nur ins Bewusstsein rufen, dass man die Informationen daraus nicht ohne Prüfung anderer Quellen 1:1 übernehmen solle. Da oben auf Rügen wird sich vermutlich recht wenig getan haben. Hier im Ruhrgebiet wird alle 20-30 Jahre mal die Erde umgewühlt - oder sie senkt sich selbst und öffnet sich sogar mal.

Auch in dem Beispiel sieht man wieder die Sache mit der Rechtschreibung: “Schweden-Schanze” (damals) und “Schwedenschanze” (heute). Mal gucken, wie lange die Schanzen noch so heißen dürfen :rofl:

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Durch Erosion und Sturmfluten ist so manches im Wasser versunken, aber die Schwedenschanze befindet sich noch immer genau da, wo sie vor ca. 150 Jahren kartiert wurde und sicher schon länger steht.

Ja, ich habe nichts anderes geschrieben, als Deine Aussage zu bestätigen.

Ach, und mir ging es auch darum, dess man nicht nur nicht 1:1 übernehmen sollte. Man sollte auch wissen, was bestimmte Objektbezeichnungen bedeuten und wie sie zu mappen sind. Da ist die Schanze unter Wasser nur ein Beispiel. Ich habe schon einige “Orte” in dem Küstenabschnitt korrigiert, die als sonstwas gemappt wurden. Man sollte halt wissen, dass ein “Ort” in dieser Gegend gewöhnlich etwas bezeichnet, das anderswo als Kap genannt wird.

Eine historische Karte sollte meiner Meinung nach nie als alleinige Quelle genutzt werden. Man sollte sie lediglich als Ergänzung sehen und bei Flurnamen als Hinweis, mal genauer nachzuforschen.

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