Warum eigentlich crossing:barrier=half/full/double_half mappen?

Moin

Ich fragte mich neulich, wieso man überhaupt die Beschrankung eines Bahnüberganges jenseits von “ja es gibt eine” und “nein, kein” (yes/no) in OSM erfassen wollen würde. Dadurch dass man hier ins Detail geht, eröffnen sich nämlich eine Reihe von anderen Fragen, nämlich z.B. was man mappen soll wenn auf der einen Seite “full” ist und auf der anderen was anderes, oder wenn mehrere Beschrankungen gleichzeitig vorhanden sind, oder wenn es stattdessen (rollbare) Tore sind, oder sich nur eine Person mit einem Fähnchen davorstellt usw usf. - also wozu überhaupt?

Kennt irgendjemanden einen Anwendungsfall in dem es relevant wäre, ob eine Beschrankung nun half, full oder double_half ist (statt einfach nur vorhanden oder nicht)? Ändert die genaue Art der Beschrankung irgendwas für irgendwen?

(P.S: 3D-Rendering zählt nicht als Anwendungsfall, weil man alles damit rechtfertigen könnte, auch Farbtemperatur von einzelnen Straßenlaternen und Farbe von Mülleimern)

Zusatzfrage:
Warum wird bei Schranken (deutsch) in Wäldern, die das Durchfahren verhindern sollen, aber meistens geöffnet sind, zwischen liftgate und swinggate (englisch) unterschieden?
Warum nicht auch noch Halbschranken, Knickarmschranken oder horizontal verschiebbare, und dazu noch das Material: Holz,Stahl, Leichtmetall oder Kunststoff?

Interessante Signatur.

Aber im Ernst, ich würde das gerne wissen. Das entscheidet, wie ich das in StreetComplete einbaue: “Ist dieser Bahnübergang beschrankt?” - Ja/Nein oder eine aus 4 Optionen + eventuelle Sonderfälle wählbar.

Die Zusatzfrage war provokativ:
Wenn eine Bahnschranke geöffnet ist, darf man durchfahren, und nicht, wenn sie geschlossen ist oder schließt. Dabei ist es völlig egal, wie diese Schranke aussieht. Ein Krankenwagenfahrer oder Notarzt wird bei Bahnübergängen nicht in OSM nachschauen, welche Schranken das sind, und ob er bei Halbschranken noch durchfahren kann, wenn das Lichtzeichen noch gelb ist.
Bei Waldschranken, ob offen oder zu, darf man mit KFZ nur durchfahren, wenn man dazu berechtigt ist.
Die Frage ist: „Ist es für OSM relevant“

Hallo,

zuerst einmal zu den Begrifflichkeiten:

Vollschranke: Ein Schrankenbaum (im Bahn-Deutschen* spricht man nicht von Schlagbäumen) reicht über die gesamte Fahrbahnbreite. Vor dem Schließen der Schranken muss der Verkehr angehalten werden bzw. der Wärter muss eine entsprechende Verkehrslücke abwarten.

doppelte Halbschranke: Statt eines Schrankenbaums über die gesamte Fahrbahnbreite gibt es zwei halb so lange Schrankenbäume auf beiden Fahrbahnseiten, die gemeinsam die gesamte Fahrbahnbreite absperren. Die in Fahrtrichtung jeweils rechten Schrankenbäume senken sich zuerst, sodass Straßenverkehrsteilnehmer den Bahnübergang noch räumen können.

Halbschranke: Ein Schrankenbaum der die in Fahrtrichtung rechte Fahrbahnhälfte absperrt. Wenn sich am linken Fahrbahnrand ein Bürgersteig befindet, hat dieser (außer bei recht alten Halbschrankananlagen) seine eigene kleine Schranke.

Bahnübergänge, die planmäßig mehr als 3 Minuten geschlossen sein werden, müssen über Vollschranken bzw. doppelte Halbschranken verfügen, weil ab dieser Zeitdauer es zu vermehrtem Umfahren von Halbschranken kommt.

Die Schließzeiten von Halbschranken-Bahnübergängen sind im Lauf der Jahre bei Neubauten nach und nach optimiert worden. Bei Neubauten vergehen oft nur noch wenige Sekunden (ich meine mindestens 12 oder so) zwischen dem Schließen der Schranken und dem Eintreffen des Zuges.

Bahnübergänge, die die Straßenverkehrsteilnehmer nicht selbstständig verlassen können (Vollschranken und doppelte Halbschranken), gelten erst dann als gesichert, wenn ihr Freisein überprüft wurde. Das kann entweder durch Sichtkontakt (Stellwerksgebäude oder Schrankenwärterposten neben dem Bahnübergang bzw. in dessen Nähe), durch eine Überwachungskamera oder mittels einer Gefahrenraum-Freimeldeanlage erfolgen. Wegen der aufwändigen Schließprozedur (Lichtzeichen, rechte Schranken, linke Schranken, Freisein) und anderer Abhängigkeiten haben diese Bahnübergänge in der Praxis Schließzeiten von meist drei Minuten. Wenn sie sich in Bahnhöfen befinden, gerne auch fünf. Auf dicht befahrenen Strecken (die Magistralen) zehn Minuten oder mehr (je nach Zugfolge).

Mehr zum Thema (Zielgruppe Nichtbahner): https://www.deutschebahn.com/resource/blob/1173478/a757432042a02482d4c66fcbee61e5bf/FAQ_bahnuebergang-data.pdf
Mehr zum Thema aus Lokführersicht: http://www.tf-ausbildung.de/BahnInfo/sicherungsartenbue.htm (die Seite ist recht aktuell)

Dass es auf der einen Seite Halb- und auf der anderen Vollschranken oder doppelte Halbschranken gibt, ist mir noch nicht begegnet. Man soll aber bei der Bahn nie “nie” sagen.

In Großbritannien gibt es Tore, dafür gibt es crossing:barrier=gate, das hat historische Gründe. In Russland versucht man mit aus der Fahrbahn aufkappenden Sperren das Umfahren** der Schranken zu verhindern (Bild, Video mit kaputtem Auto). Die russischen Barrieren werden auf den Videos, die ich gefunden habe, aber zusammen mit Schranken verwendet. Ich weiß nicht, wie sie in der Praxis getaggt werden. Mein Vorschlag von vor drei Jahren hierfür ist crossing:rising_kerb=yes.

Die Art der Beschrankung hat folgende Effekte:

  • Vollschranken und doppelte Halbschranken sind sicherer als Halbschranken. Liegen gebliebene Fahrzeuge (Motorschaden, Aufsitzen), Lkws, die auf Bahnübergängen wenden, Lkws, die auf Bahnübergängen abgestellt werden, all das wird durch die Freimeldung vermieden.
  • Vollschranken und doppelte Halbschranken haben längere Schließzeiten. Das ist eine für die Routenplanung interessante Information. Auf dem Land gibt es viele Bahnstationen, bei denen der Zugang zum Bahnsteig über einen Bahnübergang erfolgt. In solchen Fällen kann man nicht auf den letzten Drücker erscheinen.

Die von Bahnübergängen ausgehenden Unfallgefahren sind Gegenstand des öffentlichen Diskurses. Mit offenen Daten kann man da unabhängig von den Eisenbahninfrastrukturbetreibern eine Diskussiongrundlage schaffen.

Außerdem haben für Eisenbahnfreaks diese Daten folgende Vorteile:
Man erhält noch mehr Information über die Signalanlagen (auf Bahnisch: Leit- und Sicherungstechnik). Bahnübergänge sind teilweise von Hauptsignalen gedeckt, d.h. das Signal zeigt Halt, solange der Bahnübergang nicht gesichert ist.

Es gibt auch in Bahnhöfen Stellen, wo Fahrgäste legal die Gleise ebenerdig queren dürfen. In Deutschland heißen diese “höhengleiche Reisendenübergänge”. Man findet sie in Altanlagen, aber auch nach Umbauten. Je nach Sicherungsart führt das zu Kapazitätseinschränkungen. Beispiel Mockrehna: Wenn ein Personenzug Richtung Falkenberg in Gleis 2 (südliches Gleis) hält, kann währenddessen kein Zug über Gleis 1 Richtung Eilenburg fahren, da der Reisendenübergang nicht oder nur mit einer Kette gesichert ist. Zudem ist der Zwischenbahnsteig zu schmal für einen Aufenthalt. Das schränkt die Leistungsfähigkeit der Strecke und die Fahrplangestaltung ein.

Neben den von dir genannten Tags gibt es noch:

crossing:lights=yes/no Lichtzeichen oder Blinklichter vorhanden (Es gibt noch kein Tag für die Art der Zeichen, z.B. deutsche Gelb-Rot-Abfolge, Blinklichter, Wechselblinklichter, Dauerlicht, …)

crossing:saltire=yes/no Andreaskreuz (in Deutschland haben alle öffentlichen Bahnübergänge eins, aber viele öffentlichen Fußgängerübergänge und alle Reisendenübergänge haben keins, nicht öffentliche Bahnübergänge haben oft kein Andreaskreuz [4])

crossing:supervision=automatic für Überwachung mit Gefahrenraum-Freimeldeanlage
crossing:supervision=camera für Überwachung mit Kamera
crossing:supervision=phone fernmündliche Überwachung an Anrufschranken (werden bei Umbauten durch automatische Anlagen ersetzt, manche überleben es aber)
crossing:supervision=attendant für Bahnübergänge mit Schrankenwärter [3] oder Fahrdienstleiter/Weichenwärter vom Stellwerk aus
crossing:supervision=no für unüberwachte Bahnübergänte

crossing:activation=automatic Einschaltung erfolgt durch den Zug (Achszähler o.ä.)
crossing:activation=remote Einschaltung manuell durch den Fahrdienstleiter/Weichenwärter
crossing:activation=local Einschaltung/Sicherung erfolgt vor Ort durch Posten oder Schlüsselschalter

railway:level_crossing:closure:average= durchschnittliche Schließzeit

crossing:on_demand=yes Anrufschranke

crossing:chicane=yes Umlaufsperre

TL;DR Meine Empfehlung für dich als StreetComplete-Entwickler: Bau die folgenden Optionen ein (deutsche Lokalisierung in Klammern): no (unbeschrankt), half (Halbschranken), double_half (Halbschranken rechts und links), full (Vollschranken), gate (Tore), yes (irgendeine/andere)

“Halbschranken rechts und links” klingt zwar umständlich, ich habe jedoch den Eindruck, dass “doppelte Halbschranken” missverstanden werden kann und dann Halbschrankenanlagen mit Fußgängerschranken auf der linken Seite als double_half erfasst werden. Für Nutzer aus Ländern, deren Bahnwesen mir nicht geläufig ist (fast alle), kannst du noch “yes” einbauen, damit sie keines der bestehenden Tags missbrauchen.

  • Deutsch in der Bundesrepublik Deutschland in ihren heutigen Grenzen, Bahn-Deutsch in der Schweiz und Österreich
    ** beide Bedeutung
    [3] Video. Anmerkung: Die gezeigen Posten an der Lahn sind durch automatische Anlagen ersetzt worden. Herr Laumans Posten auch.
    [4] Beispiel (nicht bundeseigene Eisenbahn)

Wow, erstmal danke für die ausführliche Antwort. Ha, hätte ich ja gleich drauf kommen können, Mr. Train zu fragen :stuck_out_tongue:

Also, um das zusammenzufassen was du konkret zum Anwendungsfall für Schranken-Tagging schreibst:
Eine Unterscheidung zwischen half und full/double_half macht u.a. für Routenplaner Sinn, weil diese annehmen können dass erstgenanntes in der Regel bei Zugdurchfahrt deutlich kürzer blockiert (und zwar etwa 1-8 Minuten), sofern die mittlere Wartezeit nicht explizit angegeben ist.

Das ist natürlich erstmal nur die Annahme die man so in Deutschland und anderen Ländern in denen Züge sehr schnell fahren (können) und die … ähnlich “optimierungsaffin” sind, treffen kann, aber das reicht ja um die Existenz eines Taggings zu rechtfertigen.

Dementsprechend hat sich auch erledigt, wie man all die verschiedenen möglichen Arten von Schranken (Schwingtor, rollendes Tor, klassische Schranke, Mann mit Fahne,…) mappen soll, denn half, full usw. macht keine Aussage über die Art/Funktionsweise der Schranke, sondern ob sie die ganze breite der Straße einnimmt oder nur jeweils eine Straßenseite. Ich schätze, die Existenz von double_half (also eigentlich eine Art von full) ist dadurch gerechtfertigt, um Missverständnisse zu vermeiden in denen solche Schranken als *half *getaggt werden.

Zum Thema was es sonst noch so gibt, woanders auf der Welt: In Myanmar ist die crossing:barrier (jenseits von no/yes) vermutlich recht egal, weil an jedem einzelnen Bahnübergang mit Verkehr Wärter stehen, die die Schranken schließen wenn sie den Zug kommen hören. Hier findet sich auch ein Beispiel einer Schrankanlage die auf der einen Seite sowohl *full *als auch half-Schranken hat und auf der anderen Seite anscheinend garnichts: https://youtu.be/1S8DyhItHAA?t=1326
Hier ist noch ein anderer interessanter Bautyp einer half-Schranke - auf Schienen: https://youtu.be/KUzE75mc1Fo?t=1318

Übrigens, da du dich für das Bahnwesen interessierst: Myanmar ist eine echte Zeitkapsel. Das ändert sich zwar gerade sehr schnell, aber im Bahnwesen bewegt sich noch nicht so viel (weil eher auf die Modernisierung des Straßennetzes gesetzt wird).
Teilweise fährt hier tatsächlich noch soetwas herum: https://www.youtube.com/watch?v=60rXWF2uyPY (Kannst du mir erklären, warum die da vorne Sand haben und es vor die fahrende Lokomotive streuen?)
Die Links im vorherigen Absatz stammen übrigens im wesentlichen von der Circular Railway, einer Art S-Bahn / Vorortbahn Yangons, die schon zur britischen Kolonialzeit gebaut (und seitdem nicht mehr ausgebaut wurde).
So, und zuletzt noch eine krasse Rarität, von der man nicht gedacht hätte das soetwas überhaupt existiert: ein Schmalspur-Schienen-LKW (Railtruck) - https://youtu.be/3502lHaZQIo

https://de.wikipedia.org/wiki/Sandstreuer